„Wie ein Fest nach langer Trauer, …
so ist Versöhnung, … so ist vergeben und verzeih’n.“ Auf diese Weise beschreibt es Jürgen Werth in seinem gleichnamigen Lied. In der letzten Woche feierten die Juden ein großes Fest, den „Jom Kippur“, den Versöhnungstag. „Jom Kippur“ ist der höchste jüdische Feiertag und zeigt die Bedeutung, die Versöhnung seit jeher in der Beziehung zwischen Gott und Menschen spielt.
Die Bibel weist an unterschiedlichen Stellen auf diesen Versöhnungstag hin. „Denn an diesem Tag werdet ihr mit mir, dem HERRN, versöhnt und von aller Schuld befreit, die auf euch lastet“ (3 Mo 16,30 Hfa). In der jüdischen Tradition wurden bei diesem Fest einem Bock zunächst symbolisch alle Sünden des Volkes aufgeladen, um ihn dann, mit der aufgeladenen Schuld, in die Wüste zu jagen. Hieraus leitet sich der heute noch gebräuchliche Begriff „Sündenbock“ ab, der für einen Menschen steht, der für die Verfehlungen unbußfertiger Menschen einstehen soll.
Im neuen Testament lesen wir von Jesus, wie er freiwillig die Schuld und Sünde der Menschen auf sich nimmt, damit Versöhnung zwischen uns Menschen und Gott möglich wird. Versöhnung wird möglich, wenn Schuld vergeben wird. Gott vergibt uns unsere Schuld, so wie wir unseren Schuldigern vergeben. Das hat Jesus uns gelehrt und so sprechen wir es im Vaterunser. Wie sieht es mit unserer Vergebungsbereitschaft aus, damit auch in unserem Leben Versöhnung möglich wird? Ist unser Kontingent an Vergebung gerade erschöpft? Sind wir vielleicht an einem Punkt, an dem wir einfach nicht mehr nachgeben wollen und unsere Schuldner nicht schon wieder, einfach so, davonkommen lassen wollen?
Diese Stimmungslage ist verständlich und ebenfalls so alt wie die Menschheit. Auch Jesus wurde von Petrus gefragt: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal?“ und Jesus antwortete: „Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal“ (Mt 18,22). Natürlich meinte Jesus damit nicht exakt die Anzahl von 490 Vergebungen – wobei das selbst schon sehr viel wäre. Siebzigmal siebenmal stand in der jüdischen Tradition symbolisch für die größte mögliche Anzahl. Die größte mögliche Anzahl an Vergebung sollen wir unseren Nächsten gewähren, damit wir unser ganz persönliches Fest der Versöhnung immer wieder neu feiern können – eine Versöhnung mit unseren Mitmenschen und dadurch auch die Versöhnung mit Gott, denn Versöhnung ist geschenkte Vergebung.
Ulrich Hykes