Christlicher Glaube

von | 29 Jul, 2024 | 10 Minuten, Lesedauer

„Viele Menschen denken, glauben müsse man irgendwas nur so lange bis man es am Ende sicher weiß. Dass das ein komplettes Missverständnis ist, kann man im Folgenden verstehen. Glauben hat im Deutschen nämlich zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen: Wenn ich mit einem Fallschirm losspringen möchte und jemand mir sagt, er ‚glaube‘, dass der sicher gepackt sei, würde mir das nicht reichen, wenn aber ein Freund mir versichert, er habe das persönlich überwacht, der sei sicher, ich könne ihm vertrauen, dann würde ich antworten: Das glaube ich Dir – und dieses Glauben ist sogar mehr als Wissen, das ist eine Gewissheit, die ein Leben lang tragen kann …“[1]

Das deutsche Wort Glaube wird verwendet, um sowohl die Art des Glaubens, also das „wie wir glauben“ als auch den Inhalt des Glaubens, also das „was wir glauben“ zu bezeichnen. Im Gegensatz zu anderen Sprachen, z.B. der englischen Sprache (Faith, Believe), in der das differenziert wird, führt das zu einer Unschärfe im gegenseitigen Verständnis. Wenn wir bekennen „ich glaube“, ist also nicht klar gesagt, was wir damit meinen. Es kann z.B. sowohl „ich glaube, dass es einen Gott gibt“ als auch „ich glaube, als Grundeinstellung meines Lebens, aus tiefstem Herzen, mit allem, was ich bin“ bedeuten, oder auch beides zusammen.

Während wir den Inhalt unseres Glaubens, den „Glauben an etwas“ in der Regel mit unserem Verstand ergründen können, ist der Akt des Glaubens, also wie wir glauben, unserem Bewusstsein weitgehend nicht zugänglich. „Es ist eine bestimmte Lebenshaltung, eine Orientierung, eine Art und Weise, wie wir auf der Welt sind und wie wir sie verstehen.“[2] Dieser Glaube ist weit mehr als eine bloße „religiöse Überzeugung“ und unabhängig davon, ob Menschen sich als religiös verstehen oder nicht. An dieser Stelle wird auch vom „Glauben der Ungläubigen“ (derer, die behaupten, dass sie nicht glauben) und vom „Unglauben der Gläubigen“ (derer, die behaupten, dass sie glauben) gesprochen.

Wir sehen, dass es nicht ausreicht, wenn wir versuchen unseren Glauben zu beschreiben. Es wird uns gelingen den Inhalt unseres Glaubens zu erklären, aber das beweist nicht, dass wir auch glauben. Wir mögen davon überzeugt sein, dass es Gott gibt, dass er uns liebt, dass Jesus Christus für uns gestorben ist und uns errettet, dass Gottes Reich und seine Gerechtigkeit kommen wird, wenn sich der Glaube nicht in unserem Handeln zeigt, wenn er nicht Teil unseres Urvertrauens in unsere Existenz ist, wird er nicht Teil unseres Lebens. Wie wir leben, sagt mehr über unseren Glauben aus als das, was wir über Gott denken und sagen. Jesus Christus spricht davon, dass es eine Überraschung geben wird, wenn am Ende feststeht, wer geglaubt hat und wer nicht: „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben“ (Mattäusevangelium 25,35-45).

In unserem Leben als Christen wird es entscheidend sein, inwieweit wir einem Urvertrauen in die Liebe Gottes, in die Gnade Jesu und in die segensreiche Gemeinschaft des Heiligen Geistes Raum geben. Der Glaube an die von Gott gegebenen Verheißungen und das Vertrauen in Jesu Zusage: „Ich will euch nicht als Weisen zurücklassen; ich komme zu euch“ (Johannesevangelium 14,18) war für die Menschen in den Gebetskreisen vor 200 Jahren die Grundlage, auf der Gott Erweckung schenken konnte. Es war der fruchtbare Grund, auf dem nicht nur die Apostolische Erweckungsbewegung in fortlaufender Wirksamkeit die Gaben des Heiligen Geistes erfahren konnte.

Immer wieder hat Gott in seiner unendlichen Güte Menschen aus den Verstrickungen ihrer eigennützigen und selbstherrlichen Wege herausgerissen und sie zu Demut und Barmherzigkeit geführt. Er hat das Verlangen nach Glauben geweckt und gleichzeitig das Vertrauen in seine Verheißungen gegeben. Der Apostel Paulus schreibt dazu: „und ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu. … Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen (Philipperbrief 1,6;2,13). Darum dürfen wir Gott bitten, immer wieder neu.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Glaube im Leben eines Menschen sichtbar wird. Glaube ist mehr als eine einmalige rationale Entscheidung. Christlicher Glaube ist sozusagen eine Grenzüberschreitung, indem der eigene Egoismus überwunden wird und die Menschen um uns herum ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit kommen. Wo Menschen glauben, wird Jesus Christus und mit ihm Gottes Gerechtigkeit ihr Wesen bestimmen und ihr Tun und Handeln verändern. In der Lutherbibel wird der entsprechende Text des ersten Johannesbriefs mit „die Kraft des Glaubens“ betitelt: „Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist aus Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der aus ihm geboren ist. Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der da glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?“ (1. Johannesbrief 5,1-5)

Der Glaube ist ein Weg und kein statischer Zustand. Wer sagt „ich glaube“, sagt damit, dass er auf dem Weg des Glaubens ist. Niemand kann von sich behaupten, dass er den Glauben in seiner Fülle erfasst und vollständig durchdrungen hätte. Ganz im Gegenteil, wer das behauptet, liefert ein gutes Beispiel dafür, dass er den Glauben noch nicht verstanden hat. Auf dem Weg des Glaubens werden uns immer wieder Schwäche und Unsicherheit begegnen, denn der Glaube ist ein Weg zur Gewissheit, aber die vollkommene Gewissheit wird es erst am Ende der Zeit geben, wenn Gott sein Reich errichtet. In Zeiten der Schwachheit und des Zweifels können wir uns ein Beispiel an dem Vater im Markusevangelium nehmen, der zu Jesus schrie: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Markusevangelium 9,24).

 

[1] Manfred Lütz, Joseph Ratzinger: Kurze Einführung in das Christentum überarbeitet für alle, Kösel, S. 39

[2] Tomáṥ Halík, Der Nachmittag des Christentuns; Herder; S. 15

 

 

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